Kath. Kirche St. Bonifatius
Seeheim-Jugenheim


Labyrinth zu Ostern 2003

Labyrinthtypen

Die Urform

Das ursprüngliche (kretische) Labyrinthwird in der Grundform immer gleich dargestellt. Ein verschlungener Weg führt zur Mitte des Labyrinths. Dieser Weg hat weder Abzweigungen noch Sackgassen. Siebenmal führt der Weg um die Mitte, mal näher, mal weiter entfernt. In der Mitte angekommen führt der Weg auf gleichen Pfad wieder hinaus. Das Labyrinth hat also ursprünglich mit einem Irrgarten, in dem aus verschiedenen Möglichkeiten der richtige Weg zur Mitte gesucht werden muss, nichts zu tun. Man wird, wie von einer unsichtbaren Hand geleitet, zur Mitte geführt.

Das Labyrinth ist nicht einfach nur eine schöne und interessante Dekoration, sondern in dieser verschlungenen Wegfigur steckt eine reichliche Symbolik, eine nahezu unerschöpfliche Fülle an Deutungen und Bedeutungen.

Das Labyrinth verbindet in einzigartiger Weise das Quadrat und den Kreis zu einer Figur. Das Quadrat ergibt sich, indem man in die Mitte des Labyrinths, um das Kreuz herum die Eckpunkte der Wegbegrenzungen verbindet, der Kreis findet sich in den Wegen des Labyrinths um die Mitte herum. Quadrat und Kreis gelten als grundlegende symbolische Zeichen von Erde und Himmel, Körper und Geist, Mann und Frau. Das Labyrinth ist somit ein Symbol der Ganzheit, ein Symbol der Welt und des Lebens.

Durch die Verbindung von Quadrat und Kreis wird das Labyrinth zum Zeichen der Ganzheit. Der Lebensweg des Menschen geht aus von der Erde, die als Quadrat gekennzeichnet wird. Die Erde mit ihren vier Himmelsrichtungen ist umschlossen vom Kreis des Himmels. Man könnte auch in den Bögen der oberen Labyrinthhälfte die steigenden und sinkenden Sonnenbahnen im Jahreslauf sehen, die sich über der Erde drehen.


Das Labyrinth als Hinweis auf Christus

Die Darstellung eines Labyrinths und Christus am Kreuz im Otfried-Evangeliar (868 n.Chr.) wird von Otfried so gedeutet: " Das Maß des Kreuzes ist dem Kosmos eingeprägt. Es misst die Welt aus; es ist die Struktur der Welt, die in die Hände Christi gegeben ist. Es zeigt an, dass Christus der Herr der Welt geworden ist". Das Kreuz wird in das Labyrinth eingemessen. Kreuz- und Kreismittelpunkt werden eins und alle Wendungen des Labyrinths werden am Kreuz ausgerichtet. Christus ist dadurch auch in der Symbolik des Labyrinths der Begleiter und Träger des menschlichen Lebens.

Labyrinth - Symbol des Weges (Lebensweg)

Die Linien, die ein Labyrinth bilden, umgrenzen einen Weg, der zur Mitte führt. Deshalb ist das Labyrinth ein Symbol des Weges, des Unterwegs-Sein, ein Symbol für den Lebensweg des Menschen.

Das Labyrinth ist eine Ermutigung und eine Einladung

Das Labyrinth ist ein Spiegel, ein Bild, ein Symbol für den schwierigen und verschlungenen Lebensweg des Menschen. Es spricht von den Wahrheiten des Lebens, von den Schwierigkeiten und den Kämpfen, aber auch vom Ankommen, von der Mitte und von der neuen Freiheit, wenn man aus dem Labyrinth wieder heraus ist.

Wer ein Labyrinth betritt, hat das Ziel bereits vor Augen. Die Distanz scheint nur kurz zu sein. Doch der Weg führt um die Mitte herum und dann sogar immer weiter weg bis man fast wieder am Eingang ist. Das Labyrinth führt überraschend lange immer wieder am Ziel vorbei, so dass man Zweifel bekommen könnte, ob es überhaupt zu schaffen ist. Manchmal stellt sich die Frage ein, ob man überhaupt noch auf dem richtigen Weg ist, ob es noch sinnvoll ist weiterzugehen.

Das Labyrinth ist ein Hinweis darauf, dass der Weg des Menschen zu seiner Mitte ein anspruchsvoller Weg ist. Rasch und billig ist hier nichts zu erreichen. Wer zur Suche nach sich selbst aufbricht, kann nicht erwarten, dass das so nebenbei zu erledigen wäre. Es liegt ein langer unbekannter Weg mit überraschenden Wendungen vor einen.

Das Labyrinth ist ein Symbol des Lebens. Auch wenn das Leben geprägt ist von Unvollkommenheit, Leid, Entfremdung. Verwirrung. Erfolglosigkeit und Durststrecken, das Labyrinth ist eine Ermutigung und eine Einladung, sich auf den Weg zu machen. Es will ermutigen, zu gehen und weiterzugehen, weil es ein Ziel gibt: Am Ende des Weges wartet die Mitte.

Das Geheimnis vom Weg heraus

Das Labyrinth hat zwei Wege, den hinein in die Mitte, und den heraus aus der Mitte. Theseus braucht keine Hilfe, um in der Mitte den Minotaurus zu finden, aber er brauchte den Faden der Ariadne, um den Weg hinaus zu finden. Es ist leichter zu einer Heldentat aufzubrechen, als zur Liebe. Der Weg hinein ist ein starker, ein spannender Weg auf ein Ziel zu. Der Weg heraus ist ein stiller, ein demütiger Weg. Man kennt ihn schon, und doch ist er wieder lang.

Der Weg heraus ist der Weg nach Hause. Das Abenteuer ist vollbracht, Erkenntnis ist gewonnen, aber jetzt erst kommt das Wichtigere. Wer aus dem Labyrinth herauseilt, über alle Begrenzungen steigt, und dabei meint, dass ja die Mitte erreicht und damit alles erledigt ist, hat den wichtigeren Teil versäumt. Denn der Weg heraus führt zur Güte, zur Demut und zur Liebe.

Um den Weg hinaus gehen zu können, ist eine Kehrtwendung um sich selbst notwendig. Im übertragenen Sinn ist es eine Bekehrung. In der Umkehr liegt der Schritt in die Freiheit, der Beginn des Weges aus dem Labyrinth heraus, also ein wahrhaft österlicher Gedanke.

Labyrinth - Symbol für Tod und Wiedergeburt

Der Bedeutungsbereich von Tod und Wiedergeburt verbindet sich mit allen Labyrinthen, seien sie vorchristlich oder christlich. Dabei verknüpft sich der Eintritt ins Labyrinth immer mit der Todessymbolik: Der Innenraum ist durch eine fast geschlossene Grenzlinie gegen die übrige Welt abgehoben, nur an einer Stelle befindet sich ein kleiner, unbetonter Eingang. Hinter diesem Eingang beginnt das "Prinzip Umweg". Der verfügbare Raum wird mit einem Maximum an Wegen ausgefüllt, das heißt auch mit einem Maximum an Zeitverlust und Belastung; glaubt man sich dem Ziel zum Greifen nahe, sieht man sich gleich darauf wieder an der Peripherie. Dennoch kann die Mitte nicht verfehlt werden. Im Gesichtsfeld unserer Betrachtung bedeutet sie Tod. Dort ist der Weg zu Ende; es geht nicht mehr weiter, es sei denn, nun würde ein grundlegender Richtungswechsel erfolgen, eine Kehrtwendung um 180 Grad. Allerdings darf man den nun folgenden Weg nicht nur als eine Negation des Hinweges sehen, denn er liegt keineswegs auf derselben Ebene. Wer die Mitte erreichte und von dort zurückkehrt, tut es nicht als "alter Adam", sondern wiedergeboren zu einer neuen Existenz: im Zentrum vollziehen sich Tod und Wiedergeburt.

Ort der Sammlung und Besinnung

Wer gotische Kathedralen betritt, steht vor dem Labyrinth, das immer im Eingangsbereich liegt. Es lädt ein sich zuerst zu besinnen, bevor man zum Altar tritt. Im Gehen fällt der Alltag ab. In den Wendungen lösen sich die Gedanken. Aber die Sammlung nach Innen kann nicht im Schnellverfahren gehen. Zuerst muss man das Äußere durchschreiten und sich wegwendet - hin zur Mitte.

Faszination der Labyrinthe

Eine mögliche Faszination der Labyrinthe mag in der Wortlastigkeit unserer Gesellschaft liegen. Das Wort ist überall und übermächtig. In Schule, Zeitung, Internet und Kirche. Worten zuhören und die Information erfassen, Worte zusammensetzen und Informationen weitergeben ist eine wichtige Tätigkeit des modernen Menschen. In Labyrinthen geschieht endlich etwas ohne Worte. Dabei geschieht oft etwas, das keine Beschreibung, keine Erzählung und auch keine Seite im Internet zu erklären oder festzuhalten vermag.


Webmaster Webmaster 22.2.2003